Auf dem Drachenfels
Einer von Deutschlands bekanntesten Bergen. Als Kind bin ich noch mit Esel hochgeritten. Die Esel von heute, die ich auf dem 321 Meter hohen Berg antreffe, sind überwiegend von zweibeiniger Statur. Sie bevölkern den großen Platz am Glaskubus unterhalb der Ruine, weil es dort ein großes Freiluftrestaurant gibt. Was interessieren schon der vulkanische Ursprung des Berges, die Anlage des Bergfriedes auf drei Ebenen und die ganze Geschichte, wenn man dort gehopfte Getränke und die mit Attraktionsaufschlag versehenen Allerweltsgerichte dem auf Bespaßung ausgerichteten Körper zuführen kann?
An der Aussichtsplattform wird weniger ins Rheintal geschaut, sondern auf die gläserne Fläche des smarten Sklaventreibers. Hier setzt sich das gemeine Drachenfelspublikum den nächsten Schuss, um das digitale Suchtproblem einmal mehr zu befriedigen. Nichtwissen vermengt sich hier auf perfekte Weise mit Geltungssucht. Gesucht werden Spaß und digitale Befriedigung. Handyknipsen und Whatsapp-Nachrichten haben halt Vorrang vor Geschichte und handfester Information.
Ein junger Vater versucht indes verzweifelt, die zweiköpfige männliche Brut im frühen schulpflichtigen Alter davon zu überzeugen, das inzwischen zehnte von vermutlich noch ca. 120 weiteren Erinnerungsfotos zu schießen.
Allein, die Brut, die will nicht. So gibt es wieder minutenlange Überzeugungsgespräche des frustrierten Vaters, während die junge Mutter die Umgebung auf mögliche Gefahren für ihre Jungs abscannt. IS-Terroristen, Rechtsradikale, Kinderschänder, amerikanische Drohnen, sowjetische Raketen, ausländische Drogendealer. Nichts ist in Sicht, was das Kindeswohl gefährden könnte.
Doch die Mutter bleibt angespannt und fragt den Vater, dessen Überzeugungsgespräch inzwischen vollends in die Hose gegangen ist, ob man "denn da oben" und sie blickt Richtung Ruine, überhaupt hin müsse. Ja, genau, wozu ist man denn auf den Drachenfels gefahren?
An der Aussichtsplattform sorgt man sich indes ums Wetter, das sich bewölkt mit einigen Auflockerungen präsentiert. Da der Homo digitalis sich auf solche Beobachtungen nicht verlassen möchte, wird die Wetter-App bemüht, die tatsächlich ein "bewölkt" vermeldet. Dann muss es ja stimmen.
Oben an der Ruine wird es internationaler. Während der stets dustige Germane vor allem den Biergarten bevölkert, haben sich drei junge Amerikaner mit extrem ungünstigen Body-Mass-Index auf den höchsten Punkt des Berges geschleppt und drehen vor mittelalterlicher Kulisse erst einmal ihre Lungen auf links. Als sie nach etlichen Minuten wieder beschwerdefrei atmen können, schnappe ich das übliche "nice" und "great" und "old" auf.
Ein junges japanisches Pärchen vertreibt sich die Zeit zwischen den Ruinen mit originellen Erinnerungsfotos. Nur das mit dem Erinnerungsselfie, das will an dem Ort, den sie sich aus fotografisch vernünftiger Sicht ausgesucht haben, nicht so recht klappen, weil der Arm des Japaners für ein gutes Bild knapp drei Meter zu kurz ist. Da kann man abhelfen und die lächelnden Fernostler, die übrigens mit großem Interesse und unbefangener Neugier unterwegs sind, bedanken sich artig.
Eine Gruppe Heranwachsender kann dem geschichtsträchtigen Boden wenig abgewinnen und auch zum Sch... bauen ist die Location ungeeignet. Also schnell wieder runter. Natürlich nicht ohne Musik. Die Mischung von Mittelalter und Hardstyle ist definitiv nicht kompatibel. Und als die Familie mit dem handyknipsenden Vater und der unwilligen Brut dann doch noch auf dem Gipfel erscheint, entscheide ich mich für den Abstieg.
Abstieg ist das Stichwort. Wenn man die Art und Weise des Attraktionskonsums und das oft lautstark vor den Mitbesuchern ausgerollte Unwissen sowie die offenherzige Präsentation schlechten Geschmacks an solchen Orten erlebt, dann stellt man sich schon Fragen. Nur die Antworten, die habe ich noch nicht abschließend gefunden.
P.S.: Mir hats aber, 51 Jahre nach meinem letzten Besuch, trotzdem gut gefallen, einschließlich der Fahrt mit der Zahnradbahn, Bj. 1955.